Kaneh Bosm – Cannabis im Alten Testament?

Kaneh Bosm – Cannabis im Alten Testament?

Der Ursprung der Frage nach Kaneh Bosm

1975 wurde in dem Sammelband „Cannabis and Culture“ ein Aufsatz der polnischen Anthropologin Sula Benet veröffentlicht, in dem sie die These aufstellt, dass die hebräische Komposition Kaneh Bosm (קנה בשם) im Alten Testament ursprünglich die Hanfpflanze (Cannabis) bezeichnete und die gängigen Übersetzungen z.B. als „Würzrohr“, „Kalmus“ oder „Ingwergras“ auf Fehlübersetzungen des Begriffs in der Septuaginta, einer späteren griechischen Version des Alten Testaments, zurückgehen.

Während diese These in der Wissenschaft wenig Beachtung fand, wurde sie in der Cannabis-Kultur vielfach aufgegriffen und wird dort heute häufig als Fakt präsentiert. Dem geschichtsinteressierten Cannabis-Freund stellt sich also die Frage, ob an dieser Idee nun wirklich etwas dran ist. Oder einfacher: Wird im Alten Testament mit Kaneh Bosm tatsächlich Cannabis erwähnt?

Herkunft & Verbreitung von Cannabis

Um eine Einschätzung auf die Frage nach der Bedeutung von Kaneh Bosm zu erreichen, muss man schauen, inwieweit die Verbreitung und Nutzung der Pflanze im Zeitraum der Entstehung des Alten Testaments (grob im 7. bis 2. Jh. v. Chr.) in der syro-palästinischen Region überhaupt wahrscheinlich ist.

Hier helfen aktuelle Erkenntnisse aus Archäologie, Archäobotanik und Geschichtswissenschaft zur Heimat und Ausbreitungsgeschichte der Pflanze weiter.

Der exakte geographische Ursprung des Hanfs ist aufgrund seiner frühen Kultivierung und inzwischen sehr weiten Verbreitung nur schwer zu ermitteln. Als Konsens wird heute Zentralasien betrachtet, auch wenn über eine genauere Verortung innerhalb dieser Großregion noch keine abschließende Einigkeit herrscht.

Als gesichert kann gelten, dass sich die Pflanze von ihrer Heimat aus durch menschliche Vermittlung spätestens im 5. vorchristlichen Jahrtausend bis nach Ägypten verbreitet hat. Hierfür sprechen neben Texthinweisen auch archäologische Funde, wie u.a. der eines Hanfseiles im Grab des Pharaos Echnaton aus der Mitte des 4. Jahrtausends v. Chr.

Als Vermittler der Pflanze werden in der aktuellen Forschung zentralasiatische Volksgruppen angesehen, die durch die erste Nutzung von Wildpferden und später die Domestizierung des Pferdes ab ca. 5000 v. Chr. sehr mobil waren und so in Kontakt mit weit entfernten Gegenden kamen.

Kaneh Bosm
Kaneh Bosm: Moses und der brennende Dornenbusch

Als passender Kontext für die Vermittlung der Pflanze nach Südwestasien wird dabei der Handel der späten Uruk-Periode (um 3000 v. Chr.) betrachtet, bei dem aus den pontischen Steppen möglicherweise Wolle, Antilopenhäute, Pferde und auch Cannabis nach Mesopotamien (heutiger Irak) gelangten.

In historischer Zeit sind dabei die frühesten Vertreter solcher Gruppen, über die wir Textquellen besitzen und die nachweislich Cannabis in ihre Kultur integriert hatten, die von den Griechen zusammenfassend Skythen genannten Ethnien (ca. 9. bis 3. Jh. v. Chr.).

Archäologische Cannabis-Funde im syro-palästinischen Gebiet

Zwischen der wahrscheinlichen Heimat der Pflanze in Zentralasien und Ägypten liegt auch das für uns relevante syrisch-palästinische Gebiet, das eine wichtige Durchgangspassage für den Handel war und in dem der Ausdruck Kaneh Bosm aufgekommen ist. So überrascht es nicht, dass auch aus dieser Region archäologische Funde vorliegen, die die Anwesenheit und Nutzung von Cannabis aufzeigen.

Der vielleicht spektakulärste Fund ist noch nicht lange her. 2020 wurden auf zwei Sandsteinaltären in Israel (Tel Arad) aus dem 8. Jh. dunkle Rückstände gefunden und zur Analyse in zwei unabhängige Labors geschickt. In dem Material von einem der beiden Altäre fanden die Labors Delta-9-Tetrahydrocannabinol (THC), Cannabidiol (CBD), Cannabinol (CBN) sowie verschiedene Terpene gefunden, z.B. α-Farnesen und β-Caryophyllen.

Kaneh Bosm
Kaneh Bosm: die beiden Altäre mit sichtbaren Spuren von Cannabis und Feuer

Die Anwesenheit von Delta-9-Tetrahydrocannabinol zeugt von Decarboxylierung, sodass sicher davon ausgegangen werden kann, dass auf dem Altar Cannabisblüten verbrannt wurden. Vermutlich, um ein langsameres Verräuchern zu erreichen, waren sie wohl mit Dung vermischt, von dem ebenfalls Reste gefunden wurden.

Das ganze Szenario kann als sog. Speiseopfer gedeutet werden. Bei dieser Art von Opfer wurde im Gegensatz zum sog. Brandopfer nicht tierische sondern pflanzliche Opfermaterie wie Getreide oder Öl verwendet. Es ist wohl kein Zufall, dass dabei auch Substanzen wie Cannabis oder Weihrauchharz genutzt wurden, deren Verbrennung mit psychoaktiven Wirkungen beim Menschen einhergeht, wenn der Rauch eingeatmet wird.

Das Alter des Altars passt gut in die Zeit, die uns interessiert. Davon abgesehen wurden – ebenfalls in Israel – u.a. Hanfsamen gefunden, die mindestens aus der Mitte des 3. vorchristlichen Jahrtausends stammen, möglicherweise noch älter sind.

So finden wir ein Bild vor, in dem wir für die Entstehungszeit des Alten Testaments mit seinem Kaneh Bosm tatsächlich mit Sicherheit von der Anwesenheit und Nutzung der Hanfpflanze im syro-palästinischen Raum ausgehen können. Da davon ausgegangen werden, dass die Menschen entsprechend auch ein Wort oder Ausdruck für sie hatten, kommen wir zu unserem „Kandidaten“ Kaneh Bosm.

Was bedeutet Kaneh Bosm?

Jetzt, da wir diesen Hintergrund „beackert“ haben, macht es Sinn, sich konkret dem Ausdruck Kaneh Bosm zuzuwenden. Hat sich die wahrscheinliche Bekanntschaft mit der Pflanze Cannabis im Hebräischen in dieser Form niedergeschlagen?

Kaneh Bosm
Kaneh Bosm: Cannabis als Religionsstifter ist nachvollziehbar

Hebräisch ist die semitische Sprache, in der der größte Teil des Alten Testaments verfasst ist. Das „Hebräische und Aramäische Handwörterbuch über das Alte Testament“ bietet unter dem Eintrag קָנֶה (knh, oder als Kaneh transliteriert) folgende Bedeutungen: „Schilfrohr, Pfeilrohr“, „Würzrohr“, „Oberarm, Schultergelenk“ und „Stengel, Halm“.

Die Gemeinsamkeiten der möglichen Übersetzungen dieser Wortwurzel liegt dabei darin, dass tendenziell von langen und/oder hohlen Objekten die Rede ist. Damit scheint eine Grundbedeutung „Schilf“ bzw. „Schilfrohr“ wahrscheinlich. Dies könnte in der vorliegenden Frage als Indiz dafür gewertet werden, dass die Wurzel knh womöglich tatsächlich für die Hanfpflanze verwendet worden sein könnte, da deren Stängel lang und z.T. hohl sind.

Da diese Eigenschaft für eine ihrer Nutzungen, nämlich die Fasergewinnung, durchaus zentral ist, könnte sie als Grundlage in die Bezeichnung der Pflanze eingeflossen sein.

Da die zweite Hälfte unserer Konstruktion bsm (wie oben oft auch als Bosm transliteriert) in der Regel etwas süß oder lieblich Duftendes bezeichnet, kann man sich hier schon eine Verbindung zu Cannabis vorstellen, so ungefähr als „süß riechende Pflanze mit hohlem Stängel“.

Vor diesem Hintergrund habe ich mir fünf Stellen des Alten Testaments angeschaut, in denen knh oder Kaneh Bosm vorkommen (Ex 30,22–25; Jes 43,22–28; Jer 6,19–23; Hld 4,12–15; Ez 27,19).

Neben der nicht sehr ergiebigen Beobachtung, dass knh hier überall als Pflanze, Pflanzenprodukt oder Gewürzprodukt mit wohl angenehmem Duft und/oder Geschmack auftaucht, fällt dabei vor allem auf, dass alle Textstellen mindestens einem von zwei Bedeutungsbereichen zugeordnet werden können: Diese sind „Gottesbeziehung und Kult“ sowie „Handel und Handelswaren“.

Damit ergibt sich schon ein Bild, auch wenn es grob ist: Welche Pflanze oder welches Pflanzenprodukt knh auch immer gemeint hat, es wird wohl eine besondere Verbindung zur religiösen Praxis der Zeitgenossen bestanden haben. Dabei liegt die Vermutung nahe, dass diese kultische Verwendung sehr wahrscheinlich mit dem angenehmen Aroma und/oder Geschmack sowie ggf. einer psychoaktiven Wirkung des bei der Verbrennung entstehenden Rauches zusammenhängt.

Dabei muss betont werden, dass letzteres eine Spekulation auf Basis der Eigenschaften einiger uns bekannter prominenter Räucherstoffe, wie dem Weihrauchharz, beruht. Darüber hinaus war knh wohl ein wertvolles, fast sicher aber ein importiertes Gut. Über die Herkunft des Gutes verraten die Texte leider nichts genaues, lediglich im Hohenlied ist möglicherweise von einer Stadt im heutigen Jemen die Rede, was uns allerdings nicht weiterhilft.

Kaneh Bosm
Kaneh Bosm: Die Bibel sagt wir sollen alle Pflanzen mit Samen konsumieren…

Fazit

Das zusammengestellte Profil von Kaneh Bosm trifft nun leider auf alle bisher als Übersetzung in Erwägung gezogene Pflanzen zu. Sowohl Kalmus und Ingwergras als auch Cannabis wachsen mit langen und/oder hohlen Stielen, riechen aromatisch und mussten – zumindest ursprünglich – ins syro-palästinische Gebiet importiert werden. Auch der bisher in dieser Frage weniger stark gemachte Zimt würde auf dieses Profil passen.

Abschließend muss also gesagt werden, dass die Bibeltexte allein in unserer Frage wohl keine weitere Einengung des Feldes zulassen. Um der Lösung der Frage näher zu kommen, könnten in Zukunft aber womöglich weniger direkte Wege eingeschlagen werden.

Wenn zum Beispiel mit Hilfe der Archäologie und Archäobotanik eine genauere Rekonstruktion der Handelsverbindungen und Warenwege sowie kultischer Praktiken im syro-palästinsichen Raum gelingen würde, könnten diese Erkenntnisse auch ein neues Licht auf die Frage nach der Identität von Kaneh Bosm liefern.

Schon dieser sehr kleine und oberflächliche Einblick zeigt, dass die historische Realität in der Regel komplizierter und weniger eindeutig ist, als man es sich wünscht und häufig im Netz präsentiert bekommt. Das gilt leider auch für Kaneh Bosm.

Aber immerhin können wir sagen: Cannabis war in den Zeiten, in denen die ältesten Teile der Bibel entstanden sind, in der Region definitiv bekannt und wurde – vermutlich aufgrund seines lieblichen Geruchs und seiner psychoaktiven Wirkung – mindestens im religiösen Kontext auch benutzt.

Heißt das, dass mit Kaneh Bosm in der Bibel auf jeden Fall Cannabis gemeint ist? Die Wortgeschichte von Kaneh Bosm im Zusammenhang mit dem archäologischen Befund macht wahrscheinlich, dass dieses Wort zumindest zeitweise auch für Cannabis benutzt worden ist, auch wenn wir dies heute nicht für jedes einzelne Auftauchen im Alten Testament ganz zweifelsfrei sagen können.

Der Artikel „Kaneh Bosm – Cannabis im Alten Testament?“ ist am 5. Oktober 2020 erschienen.

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Angelika Koch

Angelika Koch

Angelika ist eine passionierte Autorin und Expertin auf dem Gebiet des Cannabis-Lifestyles. Mit ihrer jahrelangen Erfahrung in der Branche hat sie sich nicht nur ein umfassendes Wissen über den Anbau und die Verwendung von Cannabis angeeignet, sondern auch über die politischen und rechtlichen Aspekte, die damit einhergehen. Ihre Art zu schreiben ist gekennzeichnet durch ihren unverwechselbaren, freundlichen Stil, der sowohl informativ als auch unterhaltsam ist. In ihren Artikeln vermittelt sie nicht nur praktische Tipps zum Anbau von Cannabis, sondern auch spannende Einblicke in die vielfältigen Möglichkeiten, wie man Cannabis in den Alltag integrieren kann.