Cannabis, der Baum des Lebens?
Über Diana Stein’s These, dass Cannabis der Baum des Lebens sei
Der Baum des Lebens ist ein sehr altes und in vielen Kulturen verbreitetes religiös-mythisches Symbol. Eine gängige Interpretation deutet ihn als Spiegelung dreier Welten: Die Krone stützt und symbolisiert eine Ober- oder Himmelswelt, der Stamm steht für die Welt der Menschen und die Wurzeln stellen die Unterwelt dar. Man nennt ihn deshalb zuweilen auch axis mundi, die Achse der Welt.
Beispiele für vermutliche Darstellungen des Baum des Lebens finden sich unter anderem in der ägyptischen, mesopotamischen (Babylonier, Sumerer) oder auch griechischen Kultur wieder.
Bei den Babyloniern und Sumerern hieß der Baum des Lebens „Heiliger Baum von Eridu“, mit Eridu ist er nach einer der ältesten Städten des Zweistromlandes überhaupt benannt.
Vor einigen Jahren hat nun die britische Archäologin Diana Stein die These aufgestellt, dass der Baum des Lebens im Zweistromland ursprünglich die Cannabis-Pflanze darstellen könnte. Das ist natürlich eine höchst interessante Idee, die sofort die Frage aufwirft, welche Hinweise darauf Frau Stein gefunden hat.
Äußerliche Ähnlichkeiten zwischen Baum des Lebens und Cannabis
Zunächst bemerkt sie, dass die Cannabis-Pflanze, wie der auf mesopotamischen Siegeln dargestellte Baum des Lebens ursprünglich in den Bergen wächst, wobei man sagen muss, dass dies nicht ganz sicher ist. Außerdem hält sie die dargestellten Wuchsform(en) des Baum des Lebens für cannabis-ähnlich und glaubt, angedeutete männliche und weibliche Blütenstände auszumachen.
Auch meint sie, den weihnachtsbaumförmigen Wuchs der Pflanze oder auch die typische Blattform wiederzuerkennen. Die Unterschiede in den Darstellungen könnten nach Diana Stein interessanterweise auf unterschiedliche Grow- bzw. Trainingstechniken zurückzuführen sein.
Wenn diese Beobachtungen auch spannend sind, sind die äußerlichen Übereinstimmungen meiner Meinung nach nicht so schlagend oder eindeutig, dass auf dieser Basis ein gutes Urteil darüber gefällt werden kann, ob der Baum des Lebens hier tatsächlich Cannabis dargestellt.
Üblicherweise wird der Baum des Lebens im mesopotamischen Raum von der Forschung mit der Dattel-Palme in Verbindung gebracht. Gegen diese Deutung wendet Stein ein, dass das Verbreitungsgebiet der Pflanze zu weit südlich läge. Auch wenn diese Tatsache grundsätzlich richtig ist, lässt sie sich nicht als starkes Argument gegen eine entsprechende Interpretation der Darstellungen des Baum des Lebens ins Feld führen.
Motive können im Laufe der Geschichte unabhängig von ihrem physischen Gegenstück in der Welt weit „wandern“ und taten dies auch regelmäßig.
Sprachliche Hinweise im Zusammenhang von Cannabis und dem Baum des Lebens
Diana Stein bringt außerdem das akkadische Wort qunnabu, das in unterschiedlichen Textquellen auftaucht ins Spiel. Wie schon für das hebräische kaneh bosm müssen wir diesen sprachlichen Aspekt entsprechend kurz in den Blick nehmen.
Das Akkadische ist eine heute ausgestorbene semitische Sprache, die vor allem im Gebiet des heutigen Syriens sowie dem Zweistromland gesprochen wurde. Älteste Textfunde stammen aus der Zeit um 2600 v. Chr. und sind in einer Keilschrift verfasst, die mit der sumerischen Keilschrift verwandt ist.
Die wichtigsten Dialekte waren das Babylonische und das Assyrische. Diese Dialekte waren eng mit den babylonischen und assyrischen Reichen verknüpft und verloren nach deren Schrittweisen Niedergang im 7. und 6. Jh. v. Chr. und zuletzt nach der Eroberung Babylons durch die persischen Achämeniden unter Kyros II. 539 v. Chr. an Bedeutung und blieben nur als Schriftsprachen erhalten.
R. Campbell Thompson hat in seinem Werk „A Dictionary of Assyrian Botany“ das assyrische Wort azallū aufgrund einer Verwandtschaft mit dem syrischen azal, das „spinnen“ bedeutet, womit auf die Nutzung der Hanfpflanze als Faserlieferant verweisen sein soll, sowie der Art der medizinischen Anwendungen der Pflanze seiner Meinung nach zweifelsfrei mit Cannabis identifiziert.
Er stellt außerdem das, im 8. oder 7. Jh. v. Chr. aufkommende Wort qunnabu als mögliche weitere Bezeichnung für Cannabis vor. Damit bietet das Akkadische zwei Entsprechungen zum hebräischen kaneh, nämlich einerseits allgemein qanū und andererseits das erwähnte qunnabu, das wohl speziell mit der hebräischen Komposition kaneh bosm verwandt ist.
Die möglichen Übersetzungen für qanū sind zu zahlreich, um sie einzeln aufzuführen, folgen mit der Grundbedeutung „Schilf“ aber dem schon für das Hebräische festgestellten Muster, Dinge zu meinen, die entweder lang oder hohl oder beides sind. In Bezug auf qunnabu ist das Standartwerk Chicago Assyrian Dictionary (CAD) noch vorsichtiger als Campbell und gibt als Bedeutungen „an aromatic“ also „Gewürz“ oder „aromatischer Stoff“ an.
Er verweist außerdem auf einige abgeleitete Frauennamen sowie zuletzt auf die Möglichkeit („possibly“), dass das Wort auch die Samen oder Blüten der Hanfpflanze meinen könnte.
Eine deutliche Diskrepanz in der Einschätzung findet sich zwischen Campbell und CAD dann in Bezug auf das Wort azallu, das im CAD schlicht als „medizinische Pflanze“ übersetzt ist und über das außerdem die Anmerkung gemacht wird, dass die Hinweise auf eine narkotische Wirkung der Pflanze nur an zwei Stellen zu finden seien.
Insgesamt lässt sich also für das Akkadische in Hinblick auf den Hanf ein ebenfalls nicht eindeutiger, aber doch etwas stärkerer Befund für das Vorhandensein eines oder mehrerer Wörter für die Hanfpflanze bzw. aus ihr gewonnene Produkte als im Hebräischen feststellen.
Leider stellt nun keiner der überlieferten Texte, in denen die genannten Worte auftauchen, eine echte Verbindung mit dem Baum des Lebens her. Lediglich mit der Beobachtung John Allegros, dass das sumerische Wort für „Leben“, wie es im Namen Baum des Lebens vorkommt, gleichzeitig auch etwas wie „Berauschung“ (mit einer etymologischen Verwandtschaft zum Wort für „Wein“) meinen kann, ist ein schwaches Indiz auf eine Verbindung vorhanden.
Allegro stellt diese Verbindung meines Wissens nach in seinem hoch umstrittenen Buch The Sacred Mushroom and the Cross aus dem Jahr 1970 her, das ihn aufgrund seines extrem spekulativen Charakters seine Karriere gekostet hat.
Fazit
Ähnlich wie schon beim kaneh bosm haben wir hier also eine schwierige Situation. Einerseits ist die Verbreitung der Pflanze im Raum bekannt und ihre Verwendung im religiösen Kontext textlich abgesichert, sofern wir davon ausgehen, dass die diskutierten Worte wirklich eindeutig Cannabis meinten, was wir leider nicht mit großer Sicherheit sagen können.
Andererseits haben wir keinen Text, der Cannabis direkt mit dem Baum des Lebens in Verbindung bringt. Nur weil beides in die religiöse Sphäre gehörte, davon auszugehen, dass der Baum des Lebens Cannabis sein müsste, ist dabei aber deutlich zu spekulativ.
Im Zweistromland der Zeit waren auch andere berauschende und religiös-kultisch relevante Mittel bekannt (z.B. Wein/Alkohol). Ich will damit nicht sagen, dass Diana Stein’s Theorie schlecht oder falsch ist. Ich will nur deutlich machen, dass historische Aussagen immer im Modus der Wahrscheinlichkeit zu treffen sind.
Im Falle von Diana Stein’s Theorie, dass der mesopotamische Baum des Lebens ursprünglich die Cannabis-Pflanze darstellt, muss deshalb festgehalten werden: Diese Möglichkeit besteht, wenn man alle vorhandenen Indizien auf Cannabis sowohl bei den bildlichen als auch textlichen Quellen sehr stark gewichtet und mit einander verknüpft.
Gleichzeitig gibt es aber für diese Verknüpfung der Quellen aus den Quellen selbst heraus keine eindeutigen Hinweise. Vielleicht hat Frau Stein mit ihrem Ansatz also Recht, wir können es aber derzeit auf Basis der vorhandene Daten noch nicht mit großer Sicherheit sagen, so dass meines Erachtens für ein echtes bzw. gutes Urteil über die Sache noch weitere Forschung abgewartet werden muss.
Vielleicht sind es deshalb bis auf weiteres die Abbildungen selbst, die am stärksten sprechen. Ein Jeder und eine Jede mag sich auf dieser Basis selbst sein vorläufiges Urteil über Ähnlichkeiten oder Unähnlichkeiten mit Cannabis bilden.
Der Text „Cannabis, der Baum des Lebens?“ ist am 3. November 2020 erschienen.
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